Mit ihrem ersten Hit “A Forest” gelang The Cure im März 1980 ihr Durchbruch, sie wurden damit zu Mitbegründern der Dark-Wave-Szene. Doch wer genau hinhört, entdeckt selbst in ihren düstersten Liedern vor allem eines – schrägen Humor
Wenn man stark genug drückte, grub sich die Spitze des Kugelschreibers einen Millimeter tief hinein ins Holz. Ich ritzte einen kleinen Bogen und füllte ihn mit Tinte – C. Das war weniger Sachbeschädigung, sondern ein kreativer Beitrag zum Gesamtkunstwerk Schulbank: Der Tisch, an dem ich saß, war eine hölzerne Chronik der Musikkultur etlicher Schüler-Generationen. Man musste schon suchen, um noch Platz für eine frische Band-Huldigung zu finden.
Mich hatten schon Sound und Stimmung des 1979 erschienenen “10:15 Saturday Night” gepackt: Minimalistisch und dunkel und doch auch äußerst lustig. Der treibende, hypnotische Beat transportierte die im Song geschilderte Einsamkeitsszene perfekt. Und dann dieser Text!
Eine Befreiung
Das war kein Lied, das war eine Karikatur: “10 Uhr 15 Samstagnacht – der Wasserhahn tropft im Licht der Leuchtstoffröhre – und ich sitze im Küchen-Waschbecken – und der Hahn tropft, tropft, tropft, tropft, tropft…”
So cool und zugleich so weinerlich zu sein, das passte so genau zum Seelenschmerz eines 17-Jährigen, dass es zum Brüllen komisch war. Das war neu, weil es aufs Wesentliche reduziert war!
Meine Generation war musikalisch zwischen Tralala und Bombast großgeworden. Mama hörte Abba, wir hörten Glam-, Folk- und Jazzrock. Seichte Pop-Schlagerchen das eine, pompöser, überproduzierter Kram mit Gitarren- und Synthesizerteppichen und falsettig schreienden Männerchören das andere. UriahHeepLakeDeepPurpleWhitesnakeYesMudSweetSlade. EmersonlakeandPalmerAlanParson. Und obendrauf dann noch Saturday Night Fever. Die Mitt- bis Endsiebziger waren eine Zeit dicker Musik, dicker Gefühle, dicker Gesten, dicker Hosen. Hauptsache dick.
Dark Wave: Ironisches Spiel mit Horror-Klischees
Der Rocker in Leder und Kutte war wie der Disco-Boy in seiner knallengen Glitzerhose ein leicht verständliches Symbol des Machismo gewesen. Doch wofür stand es, blaue Haare, eine Ratte auf der Schulter und eine Sicherheitsnadel im Ohr zu haben? Oder eine Hippiemähne mit Ziegenbart zu tragen, dazu ein schwarzes Netzhemd zu Military-Hosen und darüber einen Daniel-Hechter-Wollmantel in Salz und Pfeffer? Mit den Achtzigern begann auch die Zeit der ausgeprägten Subkulturen. Die Öffentlichkeit begegnete vielen von ihnen völlig ratlos.
Am 28. März 1980 veröffentlichten The Cure “A Forest” und sorgten damit für eines der langlebigsten Missverständnisse der Musikgeschichte – und für das Entstehen einer neuen Subkultur: Mit The Cure begann die spielerische Dark Wave – eine düster-depressiv erscheinende Spielart des Post-Punk.
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